CUBA - KARIBISCHE REVOLUTIONSROMANTIK.............FASZINATION UND SCHAUDERN
Wer wäre nicht insgeheim schon oft gern den Klischees von palmendekoriertem Guerilla-Outfit,
Oldtimern, Salsa - Rhythmen und zigarrenverqualmter, pastellfarbiger Morbidität anheim gefallen ?
Ich schon - gerade, wo wir Cuba BuenaVista - tümelnd hüten als altlinke Skurrilität, Folklore -Nische und
karibische Bastion des Widerstands gegen globale Amerikanisierung. Alsdann - reisebuchbewaffneter
Touch Down in Varadero, Juli 2006:
2 Stunden demütigendes Abfertigungswarten in grauer DDR-Optik mit schiefen Plakaten - sind die
Einreisepapiere korrekt ausgefüllt? Alte innerdeutsche Grenzängste kommen hoch. Endlich nachts Busfahrt
zum „Tainos“- Hotel (Taxi wäre teurer), erst mal 3 Tage Akklimatisierung. Buffet - Vollversorgung, Pool,
Strand mit dudelnder Bar, Sportanimation. Ein Wächter verbietet freundlich Fotos von rostenden
Flutlichtmasten. Wir wissen: dies ist nicht das wahre Cuba.
„Karibikdisney“- Kellner verdienen hier mehr als kubanische
Lehrer. Einheimische kommen hier sonst nicht rein. Aber heiße
Karibikshows....
Mit dem Leihwagen (von Deutschland aus gebucht billiger)
endlich los in die Wahrheit:
Abends Havannaschock. Unglaubliche Abgerissenheit am
Malecon, der Vorzeigepromenade am Meer.
(Jetzt wissen wir, warum Fotos von dort immer im milden
Abendrot sind.....)
Casa particular in Habana Vieja vorgebucht: in einer dubiosen
Havanna
Arkadengasse ein erstaunlich hübscher 1. Stock mit Patio und legendärem Frühstück an offenen
Balkonfenstern. Diese Privatunterkünfte gibt es fast überall, für die Besitzer aber mit hohen Steuern belegt -
sie dürfen höchstens 2 Zimmer anbieten. Frühstück ca. 3.- , Abendessen ca. 8 CUC. Der CUC –Pesos
convertibles- entspricht etwa dem Euro.
US-Dollars sind verboten. Die Trennung zwischen CUC und Normal-Pesos spaltet die Gesellschaft.
Fotosafari zum Malecon und in die Altstadt – unfassbare Morbidität, vitales Kleinhandelsleben, Bäume
wachsen aus Ruinenfassaden. 70er Jahre-Plakatstil in den Buchhandlungen, wo Schreibwaren als
Mangelware noch handschriftlich quittiert werden. Oldtimerfotos, Gassenszenen. In den Normallokalen
Einfachmahlzeiten, Anmache für gefakte Havanna-Zigarren. Alles laut und schweißtreibend, aber nett und
ohne Grobheiten. Nach 3 Tagen raus in den Westen nach
Pinar del Rio. Wie überall in Cuba: kaum Beschilderung, wir verheddern uns bei Tropengewitter und
knöcheltiefer Straßenüberflutung mit Nachfragen bis nach Las Terrazas, einem Naturschutzgebiet mit
Wasserfällen und Stelzenbau- Hütten, wo Familien am Wochenende getränkebewaffnet in den Badegumpen
feiern. Man säuft gern.....
Vinales – ein fotogener, bunter Kolonialort niedriger Bauart. Privatunterkunft mit Hausmusik im Hinterhof
und Livemusik- Nacht auf dem Hauptplatz. Steinzeitgrotte nearby.
Rüber unterhalb von Havanna in die Inselmitte
Armut, hoffnungslose Käffer, Straßen und Kreuzungen ohne Beschilderung, aber alle paar Kilometer
Parolen- Billboards. Durchfragen in tristen Bars, der Verkehr läuft vorwiegend mit Rikschas und
Pferdefuhrwerken. Rumpelrallye - unglaubliche Schlaglöcher und knietiefe Querrinnen. Rote Äcker,
Bananenplantagen und verrottete Industrieanlagen. Endlich die leere Autopista - im Gewitter nach
Cienfuegos – propere Kolonialstadt, wir sind zu Gast in einem Casa particular, dessen Sohn uns am
Stadtrand aufgegabelt hat und gut bewirtet. Er spricht perfekt englisch, hat 2 Autos, privilegierte
Ausstattung, Kommunikationstechnik und - Verwandte in Miami... Und eine fette Kakerlake in der
Badewanne. Dagegen hat er ein Spray...... No problemo.
Trinidad – die „Hauptstadt kubanischer Musik“. Casa particular mit schöner Terrasse, Empfehlung unserer
havannischen Gastgeber. Oben auf der Placa allabendlich Livemusik auf der Treppe mit billigen Cocktails,
Einheimischen und Touris bis tief in die Nacht. Das Parken wird von dubiosen „Wächtern“ abkassiert.
Überall, wo man stehen bleibt, wird man sofort angequatscht wegen Unterkünften oder Essensangeboten.
Nervt, aber mit freundlichen spanisch/englischen Brocken kommt man davon. Morbid/malerisches Elend -
die übliche Gewissensfrage, ob du das fotografisch/ künstlerisch adeln sollst. Reize überall.....aber wie
kriegst du dafür die Muße?
- Fidel im TV. Sehen ihn erstmals live reden. Beeindruckend,
bedrückend.
- Markttag - was ist der echte Wert von Masken oder
Spitzendecken? Feilschen mit Gummibeinen........
Galerie an der Hauptgasse: Mixtur aus Surrealismus-
geschwurbel, Oldtimerschinken, Buena-Vista-Portäts und
Afrikano- Expressionismus wie fast überall. Die junge
Autodidaktin weiß, dass sie den Touri-Geschmack bedient,
muß aber leben. Ich biete ihr meine Utensilien an....
Fotosafari in den verrotteten Gassen. Der Verkauf einer
Mango bringt hier mehr als ein Tag Arbeit.
Fliegenfleischhandel am Gassenrand, Wandercombos in
Tourilokalen. . ...Der Durchfall ist da.
SantaClara - Che´s Revolutionsfinale/Uni-Stadt. Historische Einschusslöcher, kaum Beschilderung.
Wunderbares Casa particular mit Abendessen im Patio in der unübersichtlichen Innenstadt und einem
freundlich über die großbürgerlichen alten Zeiten schwelgenden Wirt.
Insel Cayo Santa Maria, nördliche Mittelküste:
nach ländlichen Irrwegen endlich raus über 47(!) Kilometer Damm durch flaches Südseemeer auf die
verwucherte Flachinsel, wo ein paar All- inclusive- Luxushotels liegen. Professionelle Live-Shows,
blutjunge Akteure/Musiker internationaler Klasse. Aber kaum Perspektiven außer in dieser „Sol“-Kette.
Brutale Antimoskito-Bedampfung beim Freiluft-Dinner. Landkrabben gespenstern über den Rückweg.
Fidel tritt zurück. Touching history! Aber: Lebe geht weiter, man bleibt gelassen.
Fast einhellige Meinung: Bruder Raoul ist ein Dummkopf, aber niemand will Cuba wieder als USA-Puff.
Back to Varadero, im „Tainos”- Hotel Autorückgabe, noch mal einen Tag relaxen.....................................
Fazit:
Mietwagen von hier buchen! Unterkünfte problemlos, Kulis/Bonbons/bare CUC`s sind hilfreich.
Einreisepapiere durch Fluggesellschaft organisieren lassen! Visa-Karte funktioniert meist auf Cuba.
In Toto: sehr fotogene Rückständigkeit, nachbarschaftlicher Schwarzmarkt wie in der DDR, hilfloses
politisches Rumreiten auf vergreisten Parolen. Medizinische Nulltarifversorgung und Gratisbildung. Soziale
Trinidad
Spaltung im krassen Widerspruch zum annoncierten sozialistischen Ideal. Laute Lebensart, gebremste
Individualinitiative - ein Land mit oft brachliegenden Ressourcen. Zwischen Schaudern und Faszination.
Der Machtmensch Castro versucht den Schulterschluss mit den linksdriftenden Latino- Staaten gegen die
USA, während sich mit dem zähneknirschend zugelassenen Moneytourismus globale Information und
Westkultur auf Cuba zurückschleichen. Folgen schon sichtbar, Che rotiert im Grab.
Der Schlüssel wäre sanfter Tourismus ohne ausländische Hotelketten-Hegemonie, verantwortungsvolles
Ressourcenmanagement ohne bisheriges USA-Embargo und ein ideologiefreier Regierungswechsel, der
sozial kontrolliert die individuellen Kräfte freisetzt. Wär schade drum.... Bernd Kuhnt