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    BDK e.V. LANDESVERBAND RHEINLAND-PFALZ    
    Hinweise zur aktuellen Corona-Situation
    
>> Kulturverbände_Corona-Sofort-Hilfe - BDK als Mitunterzeichner (PDF)
>> Schreiben des Ministers Prof. Dr. Konrad Wolf an die Kulturschaffenden (2020-04-03) als PDF
Corona und der  Kunstunterricht
      Zunächst sei an all diejenigen gedacht, die im  kreativen Bereich tätig sind und deren Existenz im Zuge der Entleerung der  Städte und Reduzierung vieler Aktivitäten gefährdet ist. Der BDK als  Landesverband hat sich genauso wie einzelne Mitglieder als Einzelpersonen mit  verschiedenen Initiativen zur existenzabsichernden Unterstützung  Kulturschaffender solidarisiert.
      Im Folgenden gilt es an unsere Arbeit als  Kunstlehrkräfte zu denken. Die Kunstlehrkräfte sind nicht wegen der Coronakrise  in ihrer Existenz bedroht, die Schulschließungen betreffen uns alle aber ganz  besonders. Zu Beginn der Schließungen, so berichteten verschiedene Quellen,  seien etliche Schulen von den so genannten „IT-Nerds“ in eine Art Euphorie  versetzt worden, jetzt ginge es endlich los, das online-Unterrichten, und eine  glorreiche Zukunft würde sich nahtlos anschließen.
      Nun, kurz vor den Osterferien, scheint die Zeit für  ein kleines Zwischenfazit gekommen. Hinter uns liegen Tage mit mehr oder  weniger ausgeprägten Erfahrungen mit dem online-“Unterricht“ - egal, ob mit  moodle oder mit einer der anderen im Land praktizierten Varianten. Die  offensichtlich immer noch auftretenden Überlastungsphänomene einzelner Systeme,  andere Probleme wie „nicht erreichbare Seiten“, nicht durchschaubare  Anmeldeprobleme mag man als Begleiterscheinungen einer besonderen Situation  betrachten – geschenkt! Die mancherorts empfohlene Strategie des  „antizyklischen“ Arbeitens, also z.B. morgens um 5 Uhr, muss wohl kaum  kommentiert werden. Irgendwie lösen die Betroffenen dank ihrer Kreativität und  anderer Kommunikationswege die Probleme und versorgen ihre Lerngruppen mit  Arbeitsaufträgen und sorgen vermutlich auch für den nötigen weiteren Austausch.
      Mit dem nötigen weiteren Austausch gerät ein  gravierendes Problem in den Blick. Lerngruppen, vor allem unterer Jahrgänge,  mit einem Arbeitsauftrag alleine zu lassen und dann später ein Ergebnis  präsentiert zu bekommen, nötigt die Lehrkraft auf jede einzelne eingehende  Lösung einzeln zu antworten, schriftlich, um ausgewogene Formulierungen bemüht,  hier lobend, dort fragend, im Folgenden zusätzliche Anregungen für das weitere  Arbeiten gebend, mitunter auch auf gemachte Fehler hinweisend. Das dauert! Wer  einmal gern gemachte Fehler in nur einer einzigen Klasse jedem Absender, jeder  Absenderin zurückgemeldet hat, dürfte gemerkt haben, dass der zeitliche Aufwand  dafür enorm ist. Was sonst in Sekundenbruchteilen das berühmte „Klick“ im Hirn  einer Schülerin oder eines Schülers auslöst, der Fingerzeig auf ein  Arbeitsblatt, der fragende Blick etc. , das benötigt so die zehnfache Zeit,  wenn nicht noch mehr. Nachfragen? Entweder schriftlich oder per Telefon oder  Skype etc., was alles extra verabredet werden müsste. So hieß es aus der  hiesigen Universität, dass die online – Kommunikation sogar mit  Masterstudierenden „nicht wirklich“ funktioniere... Wer in den vergangenen  Jahren beobachten musste, wie in Lerngruppen der Oberstufe zunehmende Probleme  beim Textverständnis bzw. bei der Auswertung von Texten auftauchten, hat nun  auch so seine (oder ihre) Zweifel bei der Frage nach dem Erfolg des  selbständigen Arbeitens in der MSS. Über die leistungsstarken Schülerinnen und  Schüler brauchen wir uns wohl auch weniger Gedanken zu machen; die kommen eh  irgendwie und überall „durch“.
      Die Zeit der Schulschließungen hat nun Möglichkeiten  geschaffen, Kontakte zu erneuern und zu vertiefen. So habe auch ich in den  zurück liegenden Tagen und Wochen viel telefoniert, Emails geschrieben und -  unter der Beachtung des berühmten Mindestabstandes – mit einigen Leuten  gesprochen. Es ist bezeichnend, dass es völlig unerheblich war, mit wem ich  sprach bzw. mich austauschte. Ob mit dem jungen, selbständigen Konditormeister,  dem Universitätsprofessor im Landau, der in den letzten Jahren in der  Erwachsenenbildung tätigen Diplom-Mathematikerin bei München, dem Dozenten aus  Kalifornien, der Lehrerin aus Berlin, dem Kollegen in der Bretagne, um nur  einige in Erinnerung zu rufen: sie alle bestätigten einzelne oder mehrere  Beobachtungen bzw. Feststellungen, die hier zusammengetragen sind. Sie sind  allesamt gleichsam die Co – Autoren dieses Textes.
      Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium hat für  den Zeitraum der Schulschließung die Notengebung aus gutem Grunde faktisch  ausgesetzt. Die Betreuung kann bei Heimarbeit nicht durch Fachlehrkräfte  sichergestellt werden – die Fachlehrer würden sich ja sonst überflüssig machen.  Wir sehen ein altbekanntes Problem: wer Zahnweh hat, geht zum Bäcker mit dem  Problem? Nichts gegen die Bäcker, aber genau so, wie für Zahnweh der Zahnarzt  dank seiner Qualifikation zuständig ist, ist für uns der qualifizierte  Kunsterzieher für den Kunstunterricht zuständig. Gleiches gilt  selbstverständlich für die Kunsterzieherin und auch für die anderen Fächer...  Von  der unterschiedlichen technischen  Ausstattung der Haushalte sei einmal zu schweigen – noch ist nicht jede(r) etwa  durch das Grundgesetz verpflichtet, über diese oder jene Computertechnik zu  verfügen...
      So manche Schule ist stolz auf ihre Laptop- oder  Tabletklassen, weil der Unterricht so berufsorientierend und die Kinder so  diszipliniert seien. Wie berufsorientierend ist das wirklich oder: in den  Dienst welcher Berufe wird hier eigentlich der Unterricht gestellt? Viele der  im Augenblick als „systemrelevant“ anerkannten Tätigkeiten dürften hier  ausfallen. Und: wo bleiben die anderen Aspekte schulischer Bildung dabei? Ein  Exkurs in die regionale Presselandschaft mag weiterhelfen. Die Ausgabe von „Die  Rheinpfalz“ vom 03.04. 2020 entpuppt sich als Fundgrube einzelner  Versatzstücke. So stellt dort H. Rodenwoldt fest, das „Experiment Homeoffice“  sei aus unterschiedlichen Gründen nicht das Idealbild modernen Arbeitens. Das  ist es in der Tat  kaum, und sei es nur,  weil eine räumliche Trennung von beruflicher Tätigkeit und Privatleben  psychischen Erkrankungen weniger Vorschub leistet als die permanente  Verfügbarkeit „dank“ medialer Vernetzung. So, wie es sich für den Manager  „gehört(e)“ mit spätestens 45 an gewissen Zivilisationskrankheiten zu leiden  oder bereits gelitten zu haben, weil er so seine Einsatzbereitschaft und  Leistungs(un?)fähigkeit unter Beweis stellen konnte, gehört es bei gewissen  Zeitgenossen zum guten, selbstgerechten Ton, von ihrer „twentyfourseven“ -  Woche zu schwafeln: eben rund um die Uhr an jedem Tag der Woche verfügbar zu  sein. Nein, gesund ist das nicht und gut fürs Betriebsklima in der Regel auch  nicht! Das gilt für die Industrie und mindestens genauso für die Schule und  natürlich auch für beide  Geschlechter.
      In der gleichen Ausgabe schreibt der 16jährige Schüler  J. Becker: „Was mir fehlt, sind die sozialen Kontakte. Freunde treffen ist  nicht möglich. Über diverse Social-Media-Kanäle haben wir zwar Kontakt, so  mancher Anruf oder Videochat wurde auch schon getätigt. Aber das ist nicht  dasselbe, verglichen damit, dass wir uns sonst fast jeden Tag in und auch mal  außerhalb der Schule sehen. Dies führt zu der Erkenntnis: Schule ist nicht nur  Aufgaben lösen, lesen, schreiben und lernen. (…) Schule ist vielmehr auch die  Interaktion mit anderen, die täglichen Begegnungen mit Lehrern und Mitschülern,  die Gespräche und Diskussionen im Unterricht, die gemeinsamen Pausen und vor  allem das Zusammensein. Dies macht meinen Schulalltag tatsächlich aus und ich  muss sagen: Es fehlt mir.“ Eben, genau das ist es! Der Mensch ist ein soziales  Wesen und braucht seine Mitmenschen für die direkte soziale Begegnung und keine  virtuellen „follower“ oder andere Surrogate – warum sonst hätte Einzelhaft mit  Kontaktsperre wohl so verheerende Folgen? Genauso ist das Lernen zunächst ein  soziales Tun, ein Anleiten und Angeleitetwerden im persönlichen Kontakt.
      Ein letztes Mal die „Rheinpfalz“ vom 03.04. 2020 - an  anderer Stelle wird die ADD Neustadt /W. zitiert: „Wir haben Lehrkräfte, die  aktuell gar nicht unterrichten können, etwa in Musik, Kunst oder Sport.“ So ist  es! Diese Lehrkräfte bemühen sich zwar auf oben beschriebene Weise in der  befremdlichen derzeitigen Situation etwas aus der Situation zu machen, aber es  dürfte allen klar sein, dass es sich hierbei nicht um Unterricht in der  eigentlichen Form handelt. Dass Lernen als Emil – Pingpong nicht sonderlich  effektiv sein kann und dass die soziale Komponente dabei so ziemlich auf der  Strecke bleibt, gilt für alle Fächer. In unserem Fach aber geht es um viel  mehr:  wir arbeiten mit Materialien und  helfen so die Welt begreifbar zu machen, sie sich anzueignen, indem wir  multisensuell tätig sind. Wir leiten Kinder und Jugendliche dazu an durch ihr  kreatives Tun Produkte unterschiedlicher Qualitäten mit unterschiedlichen  Intentionen und Aussagen parallel nebeneinander entstehen zu sehen, sich  Kulturtechniken anzueignen, die uns das abverlangen, was uns erst zu Menschen  macht. Wir fördern ästhetische Kompetenz durch eigenes Tun. Da hat die Deutsche  Schule London im Schuljahr 2018/2019 ein IT-Curriculum der Grundschule erprobt  und man stellte u.a. fest, dass die motorischen Fähigkeiten der Kinder im  Umgang mit der PC-Maus schlechter entwickelt waren „als noch vor einigen  Jahren. Der Grund: der verstärkte Umgang mit Touchscreens an Smartphones und  Tablets im Alltag.“ (Quelle: „Begegnung. Deutsche schulische Arbeit im Ausland“  1-2020 S. 38) Sollen wir nun frohlocken, dass das Bearbeiten von  online-Aufgaben die Feinmotorik der Schülerschaft durch das Bedienen einer  Tastatur fördert, weil dies die Handmuskelkoordination mehr fordert als das  Wischen? Nein – in der derzeitigen Krise wird schlicht überdeutlich, wohin wir  steuern, wenn Grundschulkinder zwar das neueste Iphone haben, aber unfähig sind  sich die Schuhe zuzubinden (Beobachtungen in einer hiesigen Grundschule): in  eine Welt der sinnlichen Verarmung und des Verlustes eines Teiles unseres  kulturellen Erbes bei gleichzeitigem Verzicht auf ästhetische Kompetenz.
    Wir Kunstlehrkräfte fördern die ästhetisch –  kulturelle Teilhabe unserer Schülerinnen und Schüler, indem wir sowohl zur  künstlerischen Rezeption als auch für die künstlerische Produktion die fachlich  fundierte Anleitung geben, wobei nicht zu vergessen ist: „Die Bildungspotenziale  der Künste haben aber auch ihren Eigenwert, finden ihren Sinn in den Künsten  selbst, vor und jenseits all dieser Transfer- und Sekundäreffekte.“  („Schweriner Erklärung“ des AfS, VDS, BDK und BV.TS vom 20.09.2013) Ein online  – Angebot wie zurzeit präferiert, wird von uns, der aktuellen Not folgend, wo  möglich, unterbreitet und begleitet. Die derzeitige Situation verweist  allerdings in schmerzhafter Deutlichkeit darauf, dass dies nur eine absolute  Behelfslösung ist und wie existenziell wichtig gerade das Fach Bildende Kunst  ist, denn es zeigt uns, was den Menschen in seinem Ausdrucks- und  Wahrnehmungsvermögen auszeichnet..
Jochen Kießling
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